Bei der Geldanlage in Aktien gibt es zwei unterschiedliche Anlagestrategien zum Vermögensaufbau. Die erste Strategie basiert auf der Modernen Portfolio-Theorie und setzt auf Risikostreuung – auch Diversifikation genannt. Der Investor erwirbt verschiedene Unternehmensanteile und versucht das Risiko dadurch zu streuen, dass sie aus möglichst unterschiedlichen Bereichen kommen und daher nicht gleichzeitig an Wert verlieren. Bei der zweiten Anlagestrategie streuen Anleger das Risiko nicht, sondern suchen gezielt nach günstigen Kaufmöglichkeiten und setzen dann auf diese ausgewählten Unternehmen. Sie kaufen unterbewertete Aktien und erzielen den Vermögensaufbau anschließend über die Differenz zwischen dem Aktienkurs und dem „wahren“ Unternehmenswert. Beim dieser Stratgie zur Kapitalanlage spricht man vom sogenannten wert-orientierten Anlegen – oder auch Value Investing. Es handelt sich um eine der langfristigen Strategien zum Vermögensaufbau am Aktienmarkt.
Der Begründer dieser Anlagestrategie ist der Ökonom Benjamin Graham. Er wurde 1894 in London geboren, wanderte in die USA aus und unterrichtete dort als Professor an der Columbia Business School und der Universität von Kalifornien (UCLA). Zusammen mit seinem Kollegen David Dodd brachte er 1934 das Buch „Security Analysis“ heraus, dass die intellektuellen Grundlagen des Value Investing gelegt hat. Darin kritisierten die Autoren das kurzfristige und teils irrationale Handeln mancher Anleger am Aktienmarkt und argumentierten für einen langfristigeren Ansatz der Aktienanalyse. Berühmte Vertreter des Value Investing waren Walter Schloss, Irving Kahn, William Ruane und Warren Buffett.
Warren Buffett war ein Schüler Grahams und wurde später durch kluge Investitionsentscheidungen am Aktienmarkt zum Milliardär. Der drittreichste Mann der Welt verdankt seinen enormen Vermögensaufbau den Investment-Tipps seines früheren Professors und hat zum Dank sogar eines seiner Kinder nach ihm benannt (Howard Graham Buffett). Er gilt als erfolgreichster Investor des 20. Jahrhunderts und seine Investmentfirma Berkshire Hathaway zählt laut Forbes zu den zehn wertvollsten Unternehmen der Welt. Zu seinen besten Aktieninvestments gehören Coca Cola und Procter & Gamble. Buffett ist der bekannteste Valueanleger und erklärter Gegner der Modernen Portfolio-Theorie nach Markowitz, die auf Diversifikation – also Risikostreuung im Portfolio – setzt. Diversifikation bezeichnete er einst als „Schutz gegen Unwissen“, der wenig Sinn mache für Leute, die Bescheid wüssten.
Stattdessen sucht Buffett mittels Aktienanalyse immer unterbewertete Aktien, die er zum günstigsten Moment am Aktienmarkt kauft. Anschließend hält er die Anteile mindestens so lange, bis sie ihren „wahren“ Wert erreicht haben. Da Buffett mit dem Value Investing eine langfristige Anlagestrategie verfolgt, hält er die Anteile an außergwöhnlichen Unternehmen jedoch am liebsten „für immer“. Im Berkshire-Hathaway-Aktionärsbrief von 1992 erklärte er, dass Value Investing für ihn schlicht bedeutet, Aktien unter ihrer tatsächlichen Unternehmensbewertung zu erwerben – alles andere sei Spekulation.
„Wir denken, dass es sich bei dem Begriff ‚Value Investing‘ um ein Synonym handelt. Was ist ‚Investieren‘, wenn es nicht die Suche nach einem Wert ist, der zumindest ausreicht, um den Kaufpreis zu rechtfertigen? Für ein Wertpapier wissentlich mehr als ihren kalkulierten Wert auszugeben – in der Hoffnung, dass diese bald für einen noch höheren Preis verkauft werden kann – sollte Spekulation genannt werden (die weder illegal, unmoralisch oder – aus unserer Sicht – finanziell nahrhaft ist).“
Die unten genannten Kennzahlen sind elementarer Bestandteil einer detailierten Aktienanalyse – der sogenannten Fundamentalanalyse. Diese Kennzahlen haben maßgeblichen Einfluss auf den Inneren Wert eines Unternehmens (auch „fairer Wert“ oder „angemessener Wert“ genannt). Er spiegelt die Unternehmensbewertung aufgrund objektiver Aktienanalyse von Fundamentaldaten wider und entspricht nicht notwendigerweise dem Marktwert, der durch Angebot und Nachfrage zustande kommt.
Das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) setzt die Bilanzwerte eines Unternehmens in Bezug zu seinem Börsenkurs. Es zeigt an, welchen Aufschlag Aktieninvestoren auf das Reinvermögen zahlen müssen. Ein Nachteil dieser Methode im Vergleich zu einem Fokus auf Cashflow oder Kurs-Gewinn-Verhältnis ist, dass der bilanziell ausgegebene Wert stille Reserven und stille Altlasten des Unternehmens nicht mitberücksichtigt. Zur Ermittlung des KBV wird der Kurs einer Aktie in Bezug zu ihrem anteiligen Buchwert gesetzt. Letzterer beschreibt den Eigenkapitalanteil, den ein Aktionär mit dem Kauf des Anteils am Unternehmen hält. Mathematisch ausgedrückt bedeutet dies: KBV= Kurswert je Aktie/ Buchwert je Aktie.
Ein Beispiel: Ein Unternehmen verfügt laut Jahresabschluss über Eigenkapital (ohne Fremdanteile) in Höhe von 200 Millionen Euro. Das Unternehmen hat 10 Millionen Aktien ausgegeben. Demnach beläuft sich der Buchwert je Aktie auf 20 Euro. Angenommen der aktuelle Börsenkurs des Unternehmens liegt bei 15 Euro je Aktie, dann hat das KBV einen Wert von 0,75. Ein niedriger KBV ist für Valueanleger ein Indikator für eine Unterbewertung. Wenn man davon ausgeht, dass die faire Bewertung eines Unternehmens seinem Buchwert entspricht, dann ist ein Wertpapier umso günstiger, je niedriger das KBV ist. Laut Graham ist ein Unternehmen für Valueanleger dann interessant, wenn der Aktienkurs weniger als zwei Drittel des Buchwerts beträgt.
Auch das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) ist eine der wichtigsten Kennzahlen für Valueanleger. Das KGV setzt den aktuellen Aktienkurs zu den erwirtschafteten Gewinnen je Unternehmensanteil – der sogenannten Ertragsrendite – in ein Verhältnis. Die Ertragsrendite sollte bereits doppelt so hoch sein, wie eine mögliche Rendite aus Anleihen mit Topbonität, damit das Investment für einen Value Investor interessant ist. Mathematisch errechnet es sich wie folgt: KGV= Kurswert je Aktie/ Gewinn je Aktie. Ein Beispiel: Der aktuelle Aktienpreis eines Unternehmens liegt bei 20 Euro. Laut Jahresabschluss hat das Unternehmen im letzten Jahr 5 Euro je Aktie Gewinn erzielt. Demnach hat das Kurs-Gewinn-Verhältnis einen Wert von 4. Oder anders ausgedrückt: Das Unternehmen braucht - bei gleichbleibenden Gewinnen – vier Jahre, um den Wert seiner Aktien zu erwirtschaften.
Da der Vorjahresgewinn mitunter wenig aussagekräftig ist, verfeinert der US-Ökonom Robert J. Shiller diese Methode. Er nahm stattdessen den inflationsbereinigten mittleren Gewinn der letzten zehn Jahre als Ausgangspunkt seiner Berechnungen. Dieser Wert wird heute als Shiller-KGV bezeichnet. Ein hohes Kurs-Gewinn-Verhältnis deutet eine Überbewertung des Unternehmens an, während ein niedriges Kurs-Gewinn-Verhältnis für einen Value Investor ein Signal für eine Unterbewertung ist. Folgt man dem Value Investing nach Graham, so sollte es mindestens um 40 Prozent niedriger sein, als das höchste Kurs-Gewinn-Verhältnis der letzten fünf Jahre.
Die Dividendenrendite ergibt sich aus dem Verhältnis von ausgeschütteter Rendite und dem Börsenkurs. Sie gibt die Verzinsung des investierten Aktienkapital je Aktie in Prozent an. Mathematisch ausgedrückt bedeutet dies: Dividendenrendite = (Dividende / Aktienkurs) * 100 Prozent. Ein Beispiel: Die Dividende eines Unternehmens beträgt 1 Euro je Aktie. Der aktuelle Aktienkurs liegt bei 20 Euro. Demnach beträgt die Dividendenrendite 5 Prozent. Eine hohe Dividendenrendite ist für wert-orientierte Anleger und Broker ein Signal, dass es sich um eine gute Investition handelt. Folgt man dem Value Investing nach Graham, so sollte die Dividendenrendite mindest zwei Drittel der Anleihenrendite betragen – also dem Profit, den ein Anleger erzielen könnte, wenn er sein Kapital komplett in Anleihen mit Topbonität steckt.
Für Value Investoren lohnt ein Blick auf die Marktkapitalisierung – auch Börsenkapitalisierung oder Börsenwert genannt. Sie beschreibt den aktuellen Marktwert des Unternehmens und errechnet sich mathematisch wie folgt: Marktkapitalisierung = Anzahl der Aktien * Aktienkurs. Diese Zahl wird in Beziehung zum Netto-Umlaufvermögen gesetzt.
Das Umlaufvermögen beschreibt alle kurzfristigen Vermögenswerte, die im Rahmen des Betriebsprozesses zur kurzfristigen Veräußerung, zum Verbrauch, zur Verarbeitung oder zur Rückzahlung bestimmt sind. Das Netto-Umlaufvermögen zieht davon noch kurzfristige Verbindlichkeiten ab. Es handelt sich dabei um eine der Kennzahlen zur Beobachtung von Veränderungen in der Liquidität eines Unternehmens. Die Marktkapitalisierung wiederum sollte laut Graham nicht höher sein, als zwei Drittel des Netto-Umlaufvermögens, damit das Unternehmen für einen wert-orientierten Aktionär oder Broker interessant ist.
Ein weiterer Aspekt bei der Unternehmensbewertung ist der Verschuldungsgrad. Es zeigt das Verhältnis von bilanziellem Fremd- und Eigenkapital an. Je niedriger der Verschuldungsgrad, desto besser. Steigt die Verschuldung des Unternehmens an, so sollte dies mittelfristig zu Umsatzsteigerungen und einer höheren Gesamtkapitalrendite führen. Außerdem sollten Value-Investoren einen Blick auf die Inflationsabhängigkeit haben. Je unabhängiger die Produktionskosten von inflationären Entwicklungen sind, desto besser.
Der „Innere Wert“ entspricht dem Wert, den ein bestens informierter Anleger für das gesamte Unternehmen bezahlen würde – unabhängig vom aktuellen Börsenkurs. Zwar erkennen Valueanleger an, dass die Aktienkurse in den meisten Fällen eine faire Unternehmensbewertung widerspiegeln. Doch sie widersprechen der sogenannten „Theorie des effizienten Marktes“, wonach die Aktienkurse die faire Bewertung aller Unternehmen zu jeder Zeit darstellen. „Auf kurze Sicht ist der Markt ein Schönheitswettbewerb, auf lange Sicht eine Waage“, fasste Warren Buffett diese Ansicht einmal treffend zusammen.
Die Begründung ist einfach: Menschen verhalten sich nicht immer rational und Anleger am Aktienmarkt sowie Broker sind auch nur Menschen. Demnach kann der Markt temporär daneben liegen, begründet durch unvollständige Informationen oder psychologische Effekte, die auf Anleger und Broker wirken. In Zeiten des Aktienbooms herrscht Euphorie an der Börse und die Preise können stark übertrieben sein. In Krisenzeiten dagegen sind Investoren durch Angst gehemmt und die Preise für Aktien können stark untertrieben sein. Value Investoren verfolgen das Ziel, aus eben dieser Irrationalität der anderen Investoren Profit zu erzielen.
Bei der Bestimmung dieses Wertes herrscht allerdings Uneinigkeit, denn es gibt verschiedene Methoden, um den „fairen“ Unternehmenswert zu bestimmen. Die Gewichtung der einzelnen Faktoren ist dabei größtenteils subjektiv. Einige wert-orientierte Broker sehen sich nur aktuelle Vermögenswerte und Gewinne an und ignorieren die zukünftige Entwicklung des Unternehmens. Andere legen viel Wert auf künftige Gewinne, Wachstumsraten und Cashflows. Zwei Broker können also exakt dieselben Informationen erhalten und dennoch zu einem unterschiedlichen Ergebnis kommen. Deshalb spricht man nicht von einem absoluten „Inneren Wert“, sondern von einer Bewertungsspanne. Die Kombination verschiedener Bewertungsmethoden kann die Zuverlässigkeit erhöhen.
Buffett schrieb einmal zum Value Investing und zum „fairen“ Unternehmenswert folgendes: „Üblicherweise bedeutet er den Kauf von Aktien mit Eigenschaften wie einem niedrigen Kurs-Buchwert-Verhältnis, einem niedrigen Kurs-Gewinn-Verhältnis oder einer hohen Dividendenrendite. Unglücklicherweise sind solche Merkmale, selbst in Kombination, nicht im entferntesten dafür entscheidend, ob ein Anleger wirklich etwas kauft, das seinen Preis wert ist, und somit wahrhaft nach den Grundsätzen des Value Investing handelt. Entsprechend stehen die entgegengesetzten Merkmale wie etwa ein hohes Kurs-Buchwert-Verhältnis, ein hohes Kurs-Gewinn-Verhältnis oder eine niedrige Dividendenrendite nicht im Widerspruch zu einem wert-orientierten Kauf.“
Wenn der Aktienkurs eines Unternehmens deutlich unter dem errechneten Unternehmenswert liegt, spricht man im Value Investing von einer Sicherheitsmarge. Der Begriff wurde zuerst durch Benjamin Graham geprägt. Später gewann der Begriff durch Warren Buffett weiter an Bekanntheit. Die Sicherheitsmarge garantiert zwar noch lange kein erfolgreiches Investment, doch sie schützt den Investor vor Fehlern bei der Berechnung des Inneren Wertes. Sie bietet dem Investor einen Puffer, falls sein Urteil falsch war. Je größer die Sicherheitsmarge, desto besser ist der Investor gegen mögliche Fehler geschützt.
Je größer die Sicherheitsmarge ist, desto geringer ist das Risiko für den Value Investor, mit seiner Einschätzung daneben zu liegen. Außerdem erhöht sich bei großer Sicherheitsmarge auch die Chance auf eine außergewöhnlich hohe Rendite. Neben der Sicherheitsmarge hat Graham weitere wichtige Sicherheitskriterien entwickelt, mit der Value Investoren sich vor Fehleinschätzungen zu schützen versuchen. Wenn eines der folgenden Kriterien zutrifft, erhöht sich das Risiko der Investition.
Ein klassisches Beispiel für ein Value-Invest-Unternehmen ist Coca Cola. Auf das Jahr 2016 betrachtet, lief die Aktie seitwärts. Sie schwankte zwischen 43,50 Dollar, verzeichnte zeitweise ein Hoch von 46,87 Dollar sowie ein Tief von 40,36 Dollar, um sich am Ende bei 42,00 Dollar einzupendeln. Betrachtet man aber die langfristige Entwicklung über zwanzig Jahre, so hat die Aktie einen Anstieg von mehr als 200 Prozent verzeichnet. Ein Grund für den langfristigen Erfolg von Coca Cola besteht darin, dass der Limonadenhersteller seit Jahrzehnten die Produktionskosten konstant gering hält.
Dies liegt vor allem an daran, dass sich Coca Cola Zugriffsrechte auf Wasserreserven weltweit gesichert hat. Damit ist der Konzern in seiner Produktion weitestgehend unabhängig von der Inflation. Darüber hinaus weist die Coca-Cola-Aktie eine hohe Dividendenrendite auf. Da Value Investoren langfristig denken, lassen sie sich durch die kurzfristigen Schwankungen nicht verrückt machen. Im Gegenteil: Sie nutzten die Irrationalität der anderen Investoren für Zukäufe. Warren Buffetts Investmentfirma Berkshire Hathaway verfügt über 398 Millionen Coca-Cola-Aktien und hält damit fast 10 Prozent am weltweit führenden Getränkehersteller.
Stand vom 15.12.2016 17:38