Die Gesundheitsbranche steht vor großen Herausforderungen: veraltete Strukturen, ineffiziente Prozesse und steigende Kosten. Die Digitalisierung scheint der einzige Ausweg aus der Misere. Startups können einen entscheidenden Beitrag dazu leisten. Ein Gespräch mit Kay Balster, Senior Investment Manager des Hightech-Gründerfonds (HTGF), der seit 2009 insbesondere Startups aus der Biotechnologie- und Medizintechnikbranche finanziert.
André Jasch: Herr Balster, muss ein erfolgreicher Investor eher Generalist oder Spezialist sein?
Kay Balster: Das ist eine schwere Frage. Beides, würde ich sagen. Als BWLer bin ich eher Generalist. Mein Anliegen ist es immer den Business-Case hinter dem Unternehmen zu verstehen. Dazu sollte man eine große Portion gesunden Menschenverstand mitbringen. Aber natürlich braucht man auch Spezialisten im Team. Beim HTGF haben wir auch Ingenieure und Chemiker, Biologen, Molekularbiologen und weitere Experten inhouse sowie auch in unserem externen Netzwerk von Spezialisten.
André Jasch: Welche spannenden Entwicklungen konnten Sie in den letzten Jahren im Bereich MedTech beobachten?
Kay Balster: Es gibt einen klaren Trend zur Individualisierung. Früher war es der niedergelassene Arzt oder das Krankenhaus, an dem allein die Leistungen erbracht wurden. Das vermischt sich immer mehr. Einige Parameter werden mittels moderner Technologie auch von außerhalb erbracht. So ist die Bundesärztekammer nun auch offen für Fernbehandlungen und Skype-Diagnosen. Immer mehr neue Techniken werden genutzt, um Diagnosen zu stellen.
Ein weiterer Trend ist, dass der Patient selbst stärker und aktiver zum Prozess beiträgt. Ein Beispiel ist CardioSecur, ein Produkt der Personal MedSystems GmbH, einem HTGF-Portfolio-Unternehmen. Es handelt sich um ein App-basiertes mobiles EKG mit 4 Sensoren. CardioSecur misst 15 Kanäle (Sichtachsen) auf das Herz. Ein Standard-EKG misst nur 12. Das muss man sich mal vorstellen: ein einfaches mobiles Gerät für zuhause und unterwegs – kein „Hardcore-Medical-Device“ – ist besser als der bisherige Goldstandard auf dem Gebiet.
Bei solchen Entwicklungen ist es wichtig, dass man den Arzt mitnimmt. Tatsächlich wird der Arzt durch so eine Veränderung entlastet. Er kann sich künftig auf die Auswertung z. B. der EKG-Daten beschränken. Erhoben werden die Daten jedoch zunehmend vom Patienten selbst. Der behandelnde Arzt bekommt sein Geld für die Auswertung des EKGs, nicht für die Messung. Damit geht der Arzt auch nicht aus der Wertschöpfungskette verloren, die Akzeptanz für neue Verfahren steigert dies natürlich erheblich.
André Jasch: Digitalisierung und Automatisierung werden auch im Gesundheitsbereich immer wichtiger. Wo sehen Sie dort das meiste Potenzial?
Kay Balster: Die größte Herausforderung ist meiner Meinung nach die Mentalität im Gesundheitsbereich. Ich kenne einige Leute, die in diesem Bereich tätig sind und die berichten mir, dass man sich dort nur langsam für neue Entwicklungen öffnet. Viele Prozesse könnten schon heute durch Technologie besser gemacht werden. Doch manchmal macht schon allein die alte Bauart vieler Krankenhäuser mit dicken Wänden aus Beton und Stahl die umfassende Internetversorgung zum Problem. Unglaubliche Prozesse werden unnötigerweise noch immer auf Papier dokumentiert. Das schreit geradezu nach Optimierung, auch weil es sehr fehleranfällig ist.
Die Advanova aus unserem Portfolio hat dafür einen automatisierten Prozess entwickelt, der den gesamten stationären Krankenhausaufenthalt digital erfasst. Es handelt sich um eine mobile, digitale Krankenakte, die nicht nur die Dokumentation von Pflege, Untersuchungen und Medikation vereinfacht, sondern auch die automatische Abrechnung gegenüber den Kostenerstattern ermöglicht. Dadurch werden die Prozesse auch für die Leistungserbringer optimiert. Doch um so eine technische Entwicklung auch in die Krankenhäuser zu bringen, müssen Sie mindestens vier Parteien überzeugen: Pflege, Ärzte, Krankenhaus-Direktor und IT-Leiter. Das kann sehr herausfordernd sein.
André Jasch: Welche Rolle spielt Regulierung im Bereich Medizintechnik und welche Bedeutung messen Sie als Investor eventuellen Zulassungsverfahren bei?
Kay Balster: Der Bereich Medizintechnik ist ein stark regulierter Sektor und damit nimmt das Thema natürlich auch für uns eine wichtige Rolle ein. Denn die Regulierung determiniert die Time-to-Market eines Startups, also die Zeit bis zum Markteintritt. Als Gründer eines MedTech-Startups muss man sich den regulatorischen Anforderungen stellen und muss diese von Anfang an als Kosten- und Zeitfaktor einplanen. Wenn wir also einen Investmentvorschlag bekommen, muss man darauf achten, dass z. B. jüngste Verschärfungen der MDR (medical device regulation) im Business Plan berücksichtigt sind. Ansonsten können böse Überraschungen hinsichtlich der notwendigen Investmenthöhe und der Rentabilität eines Vorhabens entstehen.
André Jasch: Was macht ein gutes Investment für Sie aus? Achten Sie stärker auf das Team, die Technologie, den Markt, den Wettbewerb oder etwas anderes?
Kay Balster: Der HTGF ist Frühphasen-Finanzierer und tritt dabei regelmäßig zunächst als einziger Investor auf. In dieser Phase ist die Technologie häufig noch sehr unausgereift und auch der Markt ist mitunter noch nicht klar. Auch die Frage nach geistigem Eigentum ist zu diesem Zeitpunkt häufig noch nicht spruchreif, da Schutzrechte zumeist noch in der Beantragungsphase und damit weit weg von einer Erteilung sind.
Die wichtigsten drei Kriterien lauten daher: Team, Team und Team. Es ist die einzige bekannte Variable in dieser Gleichung. Ein gutes Team sollte das Wissen und die nötige Erfahrung mitbringen. Es sollte eine große Portion Enthusiasmus für seine Idee mitbringen. Wichtig ist aber auch eine gewisse Flexibilität, so dass es in schwierigen Zeiten – und die kommen ganz sicher – schnell einen guten Plan B parat hat.
Oft ist das Team ja am Anfang auch noch nicht komplett. Es muss daher auch die Bereitschaft der Gründer geben, die richtigen Leute zu rekrutieren. Gerade wenn das Unternehmen sich aus der R&D-Phase herausentwickelt, sind oft andere Kompetenzen (Sales, Marketing, Business Development) von wachsender Bedeutung für den Unternehmenserfolg.
Dabei gilt ein alter Leitsatz der Investmentbranche: „A-people hire A-people, B-people hire C- and D-people.” Also sinngemäß: Herausragende Gründer stellen auch herausragende Mitarbeiter ein, weil sie ihre Idee voranbringen wollen und sich nicht von kompetenten Leuten bedroht fühlen.
André Jasch: Und welche Ticket-Größen investiert der HTGF im Bereich MedTech?
Kay Balster: Der aktuelle HTGF-Fonds III kann pro Unternehmen insgesamt 3 Million Euro investieren. In der ersten Phase und als alleiniger Investor investieren wir in der Regel zwischen 0,6 Mio. € und 1 Mio. € im Nachrangdarlehen. Bei größeren Finanzierungsrunden investieren wir auch gerne zu einer Bewertung, allerdings im Rahmen eines Konsortiums. Nach der Seedrunde investieren wir in weiteren Finanzierungsrunden dann je nach Kapitalbedarf nochmal 2–2,4 Mio. €. Da dies natürlich für stark wachsende Unternehmen häufig nicht ausreicht, arbeiten wir sehr eng mit privaten nationalen und internationalen Wagniskapitalgebern zusammen.
André Jasch: Wie lange dauert der Due-Diligence-Prozess?
Kay Balster: Der Auswahlprozess dauert im besten Fall drei Monate und läuft in der Regel wie folgt ab: Wir prüfen das Pitch Deck innerhalb von fünf Tagen und laden bei Interesse die Gründer direkt zu einem persönlichen Gespräch ein. Anschließend beginnt der eigentliche Due-Diligence-Prozess, der je nach Komplexität bis zu zwei Monate beanspruchen kann. Dazu reichen wir einen LOI (Letter of Intent, Anm. d. Red.) oder ein Term Sheet aus, um eine Exklusivität für beide Seiten zu gewährleisten. Für die Aspekte Technologie und Markt greifen wir auch auf externe Berater zurück. Diese schauen sich das Unternehmen, das Produkt und das Team persönlich an und schreiben dann ein Exposé mit ihrer Bewertung. Für Finanzen, Schutzrechtliche Fragestellungen und z. B. Wettbewerb nutzen wir Inhouse-Ressourcen. Unsere Einschätzung und die der externen Berater werden dann zusammen mit den Gründern unseren Fondsinvestoren präsentiert.
Dazu muss man zunächst einmal verstehen, dass wir als teilstaatlicher Wagniskapitalgeber auch einen Auftrag haben: Wir wollen den Seed-Markt beleben, denn hier mangelt es in Deutschland an Risikokapital. Das bedeutet, wir haben den Anspruch zwischen 30 bis 40 neue Unternehmen pro Jahr zu finanzieren.
André Jasch: Sie haben auch schon einige erfolgreiche Exits begleitet. Wie lange dauert es im Schnitt von erstem Investment bis zum Exit? Und was haben die Exit-Kandidaten gemeinsam?
Kay Balster: Leider kann man nicht sagen, wie viel Zeit es bis zum Exit benötigt. Am Ende hängt es ja vom Markt ab. Wenn kein Käufer da ist, wird es keinen Exit geben.
Ein einziges Muster ist, dass sich ein Exit sehr häufig aus einer Partnerschaft zwischen dem Startup und dem späteren Käufer ergibt. Das kann über Piloten oder gemeinsame R+D-Aufträge passieren oder auch durch Distributionsverträge. Alles was Vertrauen in die Technologie und die Partner schafft, kann irgendwann den Wunsch wecken, auch rechtlich zusammen zu wachsen.
Was man auch sagen kann: Es dauert erfahrungsgemäß immer länger als vorher gedacht, also sollte man Geduld mitbringen. Die Ausfälle erleben Sie zu Beginn der Investmentphase. Zehn Jahre zu überleben ist ja im Startup-Kosmos auch schon eine Kunst. Die Exits kommen dann später. Im MedTech-Bereich dauert es bis zum Exit generell eher länger als in anderen Bereichen, einerseits aufgrund der starken Regulierung und der damit erhöhten Time-to-Market, andererseits aufgrund des erhöhten Kapitalbedarfs.
André Jasch: Wie gehen Sie mit den (überhöhten) Exit-Erwartungen der Stake Holder um, Investoren, Gründer etc.?
Kay Balster: Da muss man differenzieren. Ich habe nichts gegen hohe Exit-Erwartungen der Gründer. Ich will Leute haben, die sagen „Wir arbeiten alle ganz hart und in fünf Jahren sind wir alle Millionäre.“ Find ich super! Ich bremse da niemanden, der Markt wird sie im Zweifelsfall bei den Bewertungen einordnen.
Die Erwartungen unserer Fondsinvestoren sind natürlich anders. Aber auch dort ist uns ein gutes Stake-Holder-Management gelungen. Wir haben über 30 Fondsinvestoren. Die wollen kein Geld verlieren, das ist klar. Aber sie wissen auch, dass es schon ein Erfolg ist, wenn sie ihr Geld mit einer ordentlichen Verzinsung zurückbekommen.
Aber sie machten ihr Fondsinvestment nicht ausschließlich wegen eines möglichen Returns. Sie machen es auch für den Austausch untereinander. Wann trifft schon mal Daimler auf Tengelmann? So tauschen sich unterschiedliche Industrien miteinander aus und das ist ungemein wertvoll für unsere Investoren. Darüber hinaus erhalten sie auch der Zugang zum Dealflow. Im letzten Jahr hatten wir fast 2.500 Investitionsanfragen. Diese werden unseren Investoren – natürlich anonymisiert – zur Verfügung gestellt. Sie erkennen daran: Welche Trends existieren in der Forschung? Was passiert in naher Zukunft? Wer ist hier federführend?
Also ein Win-Win-Win für unsere Gründer, unsere Fonds Investoren und den HTGF.
André Jasch: Herr Balster, vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person: Kay Balster ist Senior Investment Manager des Hightech-Gründerfonds (HTGF). Er ist einer der „altgedienten“ Mitarbeiter des Fonds. Seit 2009 finanziert der Familienvater insbesondere Startups aus der Biotechnologie- und Medizintechnikbranche. Er hat unter anderen in EBS Technologies investiert, das sich auch über Companisto finanziert hat. Bei seiner Arbeit als Investment Manager greift er auf einen rund zwanzigjährigen Erfahrungsschatz in der Beratung Technologieorientierter Gründer zurück. Dabei helfen ihm sein wirtschaftswissenschaftlicher Hintergrund, eine zuvor absolvierte Banklehre sowie insbesondere das tägliche Miteinander mit den Gründerteams seines HTGF-Portfolios.