von Cristin Liekfeldt

Apropos Mauerfall: Gründungsgeschehen in Ost und West

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Apropos Mauerfall: Gründungsgeschehen in Ost und West

Heute jährt sich zum 28. Mal der Fall der Berliner Mauer, die Ost- und Westberlin voneinander trennte. 

Ab 1961 wurde das letzte „Loch“ in der Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland durch eine Mauer geschlossen. Eine Mauer von der Walter Ulbricht noch drei Tage vor dem Beginn des Baus behauptete, dass niemand vorhabe, eine solche zu errichten. Mehr als 28 Jahre lang verkörperte sie wie kein anderes Symbol den Eisernen Vorhang zwischen den Alliierten und der Sowjetunion.

Natürlich hatte die unterschiedliche Besatzung Deutschlands massiven Einfluss auf die Wirtschaft der beiden deutschen Länder: Während in der DDR Planwirtschaft nach sozialistischen Grundsätzen betrieben wurde, arbeitete die BRD in einer sozialen Marktwirtschaft. Verschiedener konnten die beiden Wirtschaftssysteme nicht sein. 

Was aber passierte im Bereich Gründung und Unternehmertum seit dem Mauerfall im Jahre 1989?


Gründungen nach dem Mauerfall: Bestandsaufnahme 1990

Mit dem Mauerfall kommt die Euphorie: Endlich keine Grenzen mehr, Reisefreiheit, Wege aus der Gleichheit und ein ganz neuer Markt für beide Seiten. 

Bilder glücklicher Menschen, die sich in den Armen liegen bleiben in den Gedächtnissen. Menschen, die die Mauer, vor der kurz zuvor noch Menschen erschossen wurden, mit Schraubenziehern, Hammern und Händen niederreißen.

In der ehemaligen DDR führt diese Euphorie zu einem (kurzen) Gründungsboom: Nach einer Publikation von Fabian Steil (Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung) werden im Jahr 1990 in den neuen Bundesländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und in Ost-Berlin 281.096 Gewerbe angemeldet. 

Nach dem statistischen Jahrbuch der DDR aus dem Jahr 1990 gab es vor 1990 nur 70.230 Gewerbe. 

Mit der Einführung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion erreicht das Gründungsgeschehen im Juli 1990 ganz neue Dimensionen. In Westdeutschland stellte man den Rückgang der Gründungen seit den 70er-Jahren fest und förderte diese. Nach dem Mauerfall wurde dies erstmals auch in Ostdeutschland möglich.


Gründungen nach Wirtschaftszweigen in Ostdeutschland 1990, Quelle: Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung
Gründungen nach Wirtschaftszweigen in Ostdeutschland 1990, Quelle: Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung


Während in Westdeutschland eine funktionsfähige und international wettbewerbsfähige Struktur existiert, muss diese in Ostdeutschland erst aufgebaut werden. 

Besonders im Bereich Handel und Dienstleistungen wurden neue Firmen gegründet. Aber auch Stahl-, Maschinen-, Fahrzeug- und EDV-Gerätebau, Elektrotechnik und die Herstellung von Metall- und Eisenwaren (fällt alles unter die Kategorie Verarbeitendes Gewerbe) sind Branchen, in denen gern gegründet wird.

Das strukturelle Erbe der DDR beeinflusst die Gründungen in Ost-Deutschland: der schlechte Zustand der Wohnungen und Häuser führt zu einem Bauboom. Durch die Einführung der Währungsunion und 40 lang gehegte Konsumwünsche der ostdeutschen Verbraucher entsteht große Nachfrage für Konsumgüter und Handel. 

Während der Sektor der Dienstleistungen aus politischen Gründen durch die Planwirtschaft im Vergleich am stärksten unterentwickelt war, entstehen hier jetzt viele neue Unternehmen. Sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland wird dieser Bereich an Bedeutung zunehmen.


Gründungen in Westdeutschland 1990, Quelle: Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung
Gründungen in Westdeutschland 1990, Quelle: Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung


In Westdeutschland sind ebenfalls Handel und Dienstleistungen die beiden wichtigsten Säulen des Gründungsgeschehens. Gerade weil die Nachfrage von westdeutschen Konsumgütern aus Ostdeutschland so groß ist, profitiert der hiesige Handel. Dienstleistungen, die schon in den Jahren zuvor eine große Rolle spielten, werden hier genau wie in Ostdeutschland immer wichtiger. Kleine und mittelständische Unternehmen werden aber auch in der Branche des verarbeitenden Gewerbes gegründet. 


Gründungszentren im Jahr 1990

In Ostdeutschland sind die Gründungszentren um 1990 vor allem die ehemalige Karl-Marx-Stadt, Dresden, Erfurt, Halle, natürlich Ost-Berlin, Jena, Weimar und die Region zwischen Rostock und Wismar. Bemerkenswert dabei ist die beliebte Ansiedlung der neuen Unternehmen im Speckgürtel der Städte, also im Umland. Die Anpassung an die Strukturen internationaler Arbeitsteilung vollzieht sich in relativ kurzer Zeit. Das lässt auf eine hohe Anzahl an Gründern ohne die Branchenerfahrung innerhalb dieser neuen Strukturen schließen, so Steil in der Retrospektive. 

Motivation ziehen die Unternehmer im Osten unter anderem aus der Arbeitslosigkeit, die durch den Strukturwandel folgte. Aber auch der hohe Anteil der 30 – 50-jährigen Erwerbsfähigen und die Privatisierung sind Faktoren für das Gründungsgeschehen in Ostdeutschland.

In Westdeutschland dagegen erlebt man um 1950 ein Wirtschaftswunder. Der Bedarf an Arbeitskräften wächst stetig und vor allem Flüchtlinge aus der DDR werden mit offenen Armen willkommen geheißen. Als der Strom mit dem Bau der Mauer versiegt, holt die BRD sich die Arbeitskräfte aus Südeuropa und der Türkei. 

Die Ballungszentren Hamburg, Hannover, Bremen, das Rhein-Ruhr-Gebiet mit den Städten Köln, Düsseldorf und Dortmund, Stuttgart und München erstarken wirtschaftlich. Aber viele Gründungen der KMUs erfolgen auch in ländlichen Gebieten.


Wie hat sich Deutschland seit 1990 verändert? Wo sind die Gründungszentren in 2017? Wo gibt es die meisten Gründungen?

Gründung in Ost- und Westdeutschland nach dem Mauerfall


Nach dem KfW Gründungsmonitor 2017 sind die Gründerzentren in diesem Jahr folgende: 

In Ostdeutschland ist unangefochtener Gründungsspitzenreiter Berlin. Die Hauptstadt landet auf Platz zwei der meisten Gründungen. Auch Sachsen mit den Städten Leipzig und Dresden hat gute Zukunftsaussichten. In Sachsen-Anhalt ist Magdeburg, Potsdam in Brandenburg, Erfurt, Weimar und Jena in Thüringen Gründungszentrum. Im Durchschnitt gründen in den neuen Bundesländern 136 Menschen je 10.000 Erwerbstätige.


Gründungen in Ost und West: Gründungszentren nach dem Mauerfall
Gründungen in Ost und West: Gründungszentren nach dem Mauerfall


In West- und Süddeutschland tun sich vor allem die Regionen um Stuttgart und München hervor. Aber auch Köln, Dortmund, Düsseldorf, Münster, Braunschweig, Wolfsburg, Bonn, Böblingen, Ingolstadt, Regensburg, Darmstadt und Erlangen sind Anziehungspunkte für neue Gründungen. In Westdeutschland kommen durchschnittlich 157 Gründer auf 10.000 Erwerbsfähige.

Im Bereich der Wirtschaftszweige (Sektoren) in Deutschland lässt sich feststellen: Noch immer sind Dienstleistungen der stärkste Bereich, in dem gegründet wird. Auch der Handel ist nach wie vor von Bedeutung, wenn auch der Anteil deutlich abgenommen hat. Insbesondere das verarbeitende Gewerbe hat deutlich an Wichtigkeit verloren.

Gründungen 2017 nach Wirtschaftszweig in Deutschland
Gründungen 2017 nach Wirtschaftszweig in Deutschland


Heute beschäftigt sich ganz Deutschland mit der Digitalisierung und der Wirtschaft 4.0. Google verweist beim Stickwort „Mauern“ eigentlich nur noch an Donald Trump und nennt einen Film aus 2013. 

Nicht, dass wir schon alle Mauern im Kopf abgerissen hätten. Aber statt in Ost und West einzuteilen, geht es heute viel mehr um arm und reich, analog und digital, integriert und ausgegrenzt. Die Gründungen gehen in ganz Deutschland stetig zurück, ein Zeichen, das von Zufriedenheit und Beschäftigung zeugt. Gleichzeitig ist es ein Warnsignal für Stillstand, der gerade in einer der größten Veränderungen unserer Welt untragbar ist. Jobs werden verloren gehen, ganze Branchen umgewälzt werden. 

Kurz: Das Leben aller Menschen wird sich verändern. 

Zeit, an den Überbleibseln der innerdeutschen Grenze kurz inne zu halten und sich daran zu erinnern, keine neuen Mauern zu bauen. 




 

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