Was macht den Unterschied zwischen einem durchschnittlichen und einem herausragenden Investor aus? Dieser Frage geht Michael J. Mauboussin seit vielen Jahren auf den Grund. Er ist verfügt über 30 Jahre Investment-Erfahrung an der Wall Street bei der Investmentbank Credit Suisse. Dort hat er unter anderem den Börsencrash 1987, die Dotcom-Blase 2000 und die Finanzkrise 2008 miterlebt. Der Mann weiß also, wovon er spricht, wenn die zehn wichtigsten Eigenschaften von erfolgreichen Investoren auflistet:
„Um ein erfolgreicher Investor zu sein, muss man gut mit Zahlen umgehen können. Es gibt nur selten komplizierte Rechnungen, aber ein gutes Gespür für Zahlen, Prozentwerte und Wahrscheinlichkeiten ist essentiell“, so Mauboussin. Dieses Gespür für Zahlen ist beispielsweise unerlässlich, wenn es um die Analyse der Finanzplanung eines Unternehmens geht, denn Buchhaltung ist so etwas wie die universelle Sprache der Geschäftswelt. Ein geübter Investor kann so schnell erkennen, was ein Unternehmen in der Vergangenheit geleistet hat und wo es sich in Zukunft hin entwickelt.
Der Umsatz ist eine weit verbreitete Finanzkennzahl. Doch es lässt sich leicht zeigen, dass ein Umsatzanstieg nicht zwangsläufig mit einem Wertanstieg einhergeht, wenn das Unternehmen beispielsweise unrentable Investitionen tätigt. Oder wie Wirtschaftsprofessor Alfred Rappaport einst sagte: „Cash Flows sind Fakten, Profite sind Meinungen.“ Der geübte Investor konzentriert sich daher auf ausschüttbare Finanzflüsse (Englisch: Free Cash Flows). Sie sind so etwas wie der Blutkreislauf eines Unternehmens. Indem ein Investor den Gegenwartswert zukünftiger Finanzflüsse berechnet, kann er den Unternehmenswert bestimmen. Dieses Prinzip lässt sich auf Aktien, Anleihen und sogar Immobilien übertragen.
Ein erfolgreicher Investor erfasst schnell, wie ein Unternehmen Geld verdient. Dazu muss er das Geschäftsmodell auf die grundlegende Kennzahl runterbrechen können. Ein Beispiel: Die entscheidende Kennzahl bei einem Versandhändler sind Lagerkosten. Wieviel kostet es, neue Lagerkapazität zu bauen und wie schnell kann das Lager mit Inventar gefüllt werden? Welchen Umsatz wird der neue Lagerplatz generieren und wie hoch sind dabei die Profitmargen? Ein weiterer Aspekt ist das Verständnis für den Wettbewerbsvorteil. Ein Unternehmen hat dann einen Wettbewerbsvorteil, wenn es höhere Renditen bei gleichem oder niedrigerem Kapitaleinsatz erzielt.
Vergleiche sind ein wichtiger Bestandteil des Investierens. Investoren vergleichen den ganzen Tag Daten miteinander und leiten davon ihre Investmententscheidungen ab. Das Problem: Menschen sind schnell dabei, Vergleiche zu ziehen, aber leider nicht sehr gut darin. Der vielleicht wichtigste Vergleich, den ein erfolgreicher Investor ziehen sollte, ist der Vergleich zwischen Fundamentaldaten und Erwartungen.„Der vielleicht größte Fehler im Investment-Geschäft, ist die Unfähigkeit zwischen den Fundamentaldaten einer Firma und den durch den Marktpreis implizierten Erwartungen zu unterscheiden“, so Mauboussin. Die meisten Investoren scheitern bei diesem Vergleich. Sie wollen kaufen, wenn die Fundamentaldaten gut sind und verkaufen, wenn sie schlecht sind. Die Kunst ist jedoch nicht, das beste und teuerste Unternehmen zu finden, sondern dasjenige, das gut und unterbewertet ist.
Nur wenige Dinge im Investmentgeschäft sind wirklich gewiss. Der erfolgreiche Investor muss deshalb über die Fähigkeit verfügen, Wahrscheinlichkeiten gut abschätzen zu können. Dabei sucht er stets nach einem Informationsvorsprung, etwa indem die Erfolgswahrscheinlichkeit und der Preis in einem günstigen Verhältnis stehen. In Feldern, die stark auf Wahrscheinlichkeiten basieren, ist es ratsam, sich stärker auf den Entscheidungsprozess als auf das Ergebnis zu konzentrieren. Gute Entscheidungen können manchmal zu schlechten Ergebnissen führen und umgekehrt. Auf lange Sicht jedoch setzen sich gute Entscheidungen durch, auch wenn man hin und wieder daneben liegt.
Einmal getroffene Einschätzungen sind Hypothesen, die regelmäßig überprüft werden müssen und keine Schätze, die gehortet werden sollten. Die meisten Menschen bevorzugen es, an ihren Meinungen festzuhalten, selbst wenn die Fakten gegen sie sprechen. Sie fallen zudem in die Falle, ihre Voreingenommenheit zu bestätigen, indem sie nur Informationen zu lassen, die ihre Ansicht unterstützen (Englisch: Confirmation Bias). Der erfolgreiche Investor geht den unbequemen Weg: Er weiß, dass die Welt ständig im Wandel begriffen ist. Daher sucht er gezielt nach Informationen und Ansichten, die seiner eigenen Ansicht widersprechen. Wenn sich die Faktenlage ändert, passt er seine Ansichten an.
Der Verhaltenspsychologe Keith Stanovich unterscheidet zwischen einem Intelligenzquotienten (IQ), der bestimmte mentale Fähigkeiten misst, und einem Rationalquotienten (RQ), der die Fähigkeit misst, rationale Entscheidungen zu treffen. Die Überlappung zwischen beiden ist geringer, als man gemeinhin annimmt. Warren Buffet schrieb dazu einmal: „Für mich ist der IQ wie die PS-Zahl eines Motors. Doch die Leistung, also die Effizienz mit der dieser Motor arbeitet, hängt von Rationalität ab. Viele Leute starten mit einem 400-PS-Motor, der nur 100 PS auf die Straße bringt. Es ist viel besser, einen 200-PS-Motor zu haben, der die volle Leistung umsetzt.“ Erfolgreiche Investoren versuchen daher, die Bedingungen für Befangenheit zu minimieren und die Bedingungen für rationale Entscheidungen zu fördern.
In Finanzmärkten sind Preise sehr informative Kennzahlen. Sie signalisieren, welche zukünftige finanzielle Leistung von einem Unternehmen zu erwarten ist. Doch da Investieren auch eine sehr soziale Tätigkeit ist, können Preise manchmal mehr Einfluss- als Informationsquelle sein. Man denke nur an die Dotcom-Blase: Als die Preise stiegen, wurden Besitzer von Tech-Aktien auf dem Papier sehr reich. Das übte einen so starken Einfluss auf alle anderen Anleger aus, die sie ihre Ansichten über Bord warfen und ebenfalls investierten, was einen Herdentrieb auslöste. Herausragende Investoren laufen der Masse nicht blind hinterher. Das erfordert eine Eigenschaft, die beim Investieren sehr wertvoll sein kann: Sich nicht darum zu scheren, was andere von einem denken. Investitionsentscheidungen sind individuell, es gibt immer verschiedene Meinungen.
Der Weltklasse-Pokerspieler Puggy Pearson sagte einmal über den Erfolg beim Pokern: „Es gibt nur drei Regeln beim Spielen: Die Wahrscheinlichkeiten kennen, sich mit Geldmanagement auskennen und sich selbst kennen.“ Der zweite Punkt, Geldmanagement, erhält oft die wenigste Aufmerksamkeit. Ein erfolgreicher Investor identifiziert nicht nur die günstigsten Gelegenheiten, sondern holt aus diesen Chancen auch das Beste heraus. Dafür muss er die korrekte Größe seiner Positionen berechnen. Es genügt nicht, bei jeder günstigen Gelegenheit alle Chips in die Mitte zu schieben. Vielmehr maximiert ein guter Investor seine Gewinne durch ein perfekt ausbalanciertes Portfolio.
Erfolg ist eine Mischung aus Neugier, Konzentration, Beharrlichkeit und Selbstkritik. Lesen fördert all diese Eigenschaften. Der 93-jährige US-Milliardär Charlie Munger, Buffetts Investmentpartner bei Berkshire Hathaway, sagte einmal: „In meinem ganzen Leben habe ich nicht eine kluge Person mit breitem Allgemeinwissen getroffen, die nicht die ganze Zeit gelesen hat – nicht eine einzige.“ Doch fürs Lesen muss man sich Zeit nehmen. Warren Buffett wendet angeblich 80 Prozent seines Arbeitsalltags dafür auf. Während des Lesens hat man keine Zeit für andere Dinge, doch das ist ein Tauschhandel, der sich für viele erfolgreiche Menschen ausgezahlt hat. Darüber hinaus sollte ein erfolgreicher Investor offen bleiben für eine große Bandbreite an Themen, nicht nur Finanzen und Wirtschaft.
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